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Ortenburg Open 2024
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Ortenburg Open 2024

Abschlussbericht

Wie jedes Jahr findet am ersten September Wochenende das Ortenburg Open statt, mittlerweile ein echter Klassiker in Bayern. Im Vergleich zu den letzten Jahren wurde das Format aber geändert: Bis jetzt gab es immer ein A- und ein B-Turnier, das unscharf irgendwo bei 1750 DWZ getrennt wurde. Dieses Jahr wird ein Format ausprobiert, welches eher in Österreich und Italien üblich ist: Es gibt ein starkes A-Turnier 2000+ mit auch nur ca. 25 Teilnehmer, ein B-Turnier (ca. 1600-2000) und ein C-Turnier (unter 1600). 

Wie jedes Jahr sind auch wieder einige Spieler von Taufkirchen und Passau dabei: Von Taufkirchen sind Richard Kaiser im A-Turnier und Theo Gessmann im C-Turnier dabei, sowie Philipp, der dieses Jahr nicht selber mitspielt, aber dafür als Coach, Photograph, Fahrten-Organisator, Cheerleader und Berichterstatter vor Ort ist. Von Passau spielen im B-Turnier die furchtlosen Studenten Martin Wilde und Jonas Müller, beide gerade frisch mit der universitären Bachelorarbeit fertig geworden, und Annika Abmayr im C-Turnier.

Außerdem dabei sind wie letztes Jahr im A-Turnier David Melhorn und Niederbayerns unaufhaltsame Überflieger Lukas und Moritz Stöttner. Angeführt wird das Turnier ebenfalls wie letztes Jahr von den routinierten Großmeistern Korneev und Milov.

Runde 1:

Am Freitag Abend fand mit einiger Verspätung die erste Runde statt, und lief überwiegend ganz gut. Richard musste sich im A-Turnier in einer wilden Partie mit Chancen für beide Seiten leider dem österreichischen IM Georg Kilgus (2358 FIDE) geschlagen geben, aber dafür konnte Theo im C-Turnier den etwas schwächeren Reinhold Fritz (1341 DWZ) schlagen und darf zur Belohnung morgen gegen den im C-Turnier an 1 gesetzten Erich Auer (1492 DWZ) spielen, beide übrigens vom Ausrichterverein SC Ortenburg.

Im B-Turnier bezwang Martin mit seiner französischen Eröffnung Wilhelm Grunert (1908 FIDE), während Jonas leider ebenfalls mit Schwarz gegen die englische Eröffnung verlor. Annika remisierte im C-Turnier.

Auch Lukas konnte übrigens seine erste Runde gewinnen und spielt dafür morgen am Spitzenbrett gegen Großmeister Oleg Korneev. Am Samstag um 09:00 Uhr Morgens geht es weiter.

Runde 2:

Der Samstag startete leider nicht ganz so erfolgreich. Martin verlor gegen den Niederbayerischen Schach Veteran Michael Fuchs (1964 FIDE), während Lukas im A-Turnier an Brett 1 brutal von GM Korneev (2463 FIDE) Matt gesetzt wurde. Immerhin Jonas konnte eine witzige Angriffspartie mit einigen freiwilligen und unfreiwilligen Bauernopfern gegen Martin Deppe (1755 FIDE) gewinnen.

Auch Richard konnte gegen Friedrich Grunert (1990 FIDE) einen Sieg erringen. Nachdem er in letzter Zeit das abgelehnte Damengambit mit Schwarz ausprobiert hat, konnte er es in dieser Partie sogar erfolgreich mit Weiß spielen.

Im C-Turnier verlor Theo gegen die sizilianische Eröffnung, während Annikas Gegner in einem völlig gewonnenen Endspiel Remis anbot.

Nachmittags startet jetzt die dritte Runde, mit dem "Niederbayern-Klassiker" Richard Kaiser gegen Lukas Stöttner.

Runde 3:

Die Nachmittags Runde lief wieder deutlich besser für uns, vor allem im B-Turnier: Martin bezwang mit Schwarz mit einigen tollen taktischen Ideen den an Startnummer Zwei gesetzten Laszlo Nagy (1985 FIDE!), ab Zug 20 wurde Weiß einfach overpowered. Jonas gewann ebenfalls mit Schwarz, aus einer geschlossenen Königsindisch Position gegen den deutschen Youtuber Michael Seidl (1689 FIDE). Strategisch traf Weiß einige ganz fragwürdige Entscheidungen und blieb am Ende mit einem schlechten Läufer und ohne jegliche Schwarzfelderkontrolle übrig, auch von Jonas ein super Sieg. Beide stehen damit bei 2/3 im B-Turnier und mit guten Chancen, die vorderen Plätze noch angreifen zu können.

Im C-Turnier lief es nicht so gut: Theo hatte eine interessante Panov Caro-Kann Partie gegen Greta Grunert und stand lange gut, verlor am Ende jedoch ein Leichtfigurenendspiel. Auch Annika musste sich geschlagen geben. Fun Fact: Damit haben wir in diesem Turnier bereits die ganze Familie Grunert abgearbeitet - Richard gewann gegen den ältesten, Friedrich, Martin gegen den Mittleren, Wilhelm, und Theo spielte gegen das jüngste Kind, Greta.

Alle Augen waren aber natürlich auf das A-Turnier Duell Richard Kaiser gegen Lukas Stöttner gerichtet. Bereits die dritte Partie zwischen den beiden, und zum dritten Mal konnte Lukas den Sieg holen. Aus der Eröffnung kam direkt ein ausgeglichenes London-Endspiel heraus, in dem Schwarz das Läuferpaar und die deutlich bessere Bauernstruktur hat, jedoch weit hinterher mit der Entwicklung der Figurenaktivierung war. Weiß konnte aus dem Entwicklungs- und Aktivitätsvorsprung jedoch nicht viel machen, es gab einfach keine Angriffspunkte, sodass Lukas dann ein langes Endspiel schön gewinnen konnte. Gutes Beispiel dafür, dass eine Position anfangs nicht so gut ausschaut, aber langfristig große Vorteile birgt.

Auch sehr witzig zum Zuschauen war Davids Partie, der gegen die seltene Ponziani-Eröffnung von Peter Schmid (2007 DWZ, nicht der gleichnamige IM) eine Variante wählte, in der Schwarz zwei (!) Figuren für einen langfristigen Angriff opfert. Nach einer sehr wilden Partie konnte er es auch gewinnen.

Insgesamt also ein ganz guter Tag für die große Abordnung von Taufkirchen & Passau, am Sonntag geht es um 09:00 Uhr morgens weiter.

Runde 4:

Auch die vierte Runde startete ganz erfolgreich. Theo gewann in seiner Lieblings Eröffnung, dem Vienna Gambit mit Weiß, eine tolle Angriffspartie. Im B-Turnier gewann Martin mit Schwarz im Fianchetto Kings Indian gegen Shahro Nazari (1932 FIDE), nachdem dieser mit wenig Zeit seinen König zu sehr entblößte.

Für den Rest lief es dann aber leider nicht so gut. Richard verlor im Damengambit, diesmal wieder mit Schwarz. Auch Annika und Jonas verloren, wobei Jonas das Kunststück vollbrachte, gegen Skandinavisch in 20 Zügen einen Turm weniger zu haben. Selbst Lukas übersah einen taktischen Gegenschlag, mit Weiß in der französischen Eröffnung gegen den berüchtigten FM Thomas Lentrodt (2225 FIDE), welcher damit vor der letzten Runde an Platz 1 steht.

An Brett 1 gab es ein schnelles Remis zwischen Moritz und GM Korneev. Schwarz nahm in der ungeliebten Alapin-Eröffnung mit der Dame etwas riskant einen b2-Bauer und bot danach sofort das berühmte "Bail-Out-Remis" an, bevor die Position schlecht werden konnte. Moritz steht damit im A-Turnier bei 3/4, wie Martin im B-Turnier.

Echte Chancen auf Preisgelder haben damit wohl nur noch Martin und Moritz, aber am Nachmittag können hoffentlich trotzdem noch ein paar Siege geholt werden.

Runde 5: 

Die letzte Runde am Sonntag Nachmittag verlief erneut ziemlich durchwachsen. Richard remisierte im A-Turnier gegen den Nürnberger Dennis Adelhütte (2041 FIDE) und schaffte das Kunststück, bei einem fünf Runden Turnier in vier Partien abgelehnte Damengambit-Typ Position aufs Brett zu bekommen.

Im C-Turnier verlor Theo eine Caro-Kann Partie, nachdem aus der Eröffnung bereits Schwierigkeiten entstanden, während Annika ihren ersten Sieg holen konnte. Im B-Turnier war Jonas Partie erneut sehr schnell vorbei, nachdem sein Gegner Johann Sellmayr (1793 DWZ) bereits auf Zug 10 einen Läufer einstellte.

Im Fokus standen aber die übrigen Partien: Martin hatte mit 3/4 Punkten noch gute Chancen auf die Preisgelder und hatte zum Abschluss Weiß gegen den Ortenburg Stammgast Andre Habermann (1891 FIDE). Beim Turnier 2022 durfte dieser bereits gegen Philipp und Maxi Kreutner spielen, beide Partien konnten wir gewinnen. Vor allem für drei Dinge ist er sehr bekannt: Fesche Kopfbedeckungen, einige Probleme mit den Brettkoordinaten und, dass er wenn möglich jede Partie Stonewall spielt. Gegen Stonewall spielt man eigentlich immer gerne, Martin spielte jedoch in einem kritischen Moment im frühen Mittelspiel viel zu schnell und geriet in ein schlechtes Endspiel, welches Schwarz dann auch gewinnen konnte. Sehr schade, da wäre definitiv eine bessere Platzierung drin gewesen. Sein Gegner erreichte durch den Sieg dann den dritten Platz im B-Turnier.

Im kleinen Teilnehmerfeld des A-Turnier wiederholte sich die Geschichte ein bisschen: Letztes Jahr hatten Moritz, Lukas und Philipp nach vier Runden alle gute Chancen auf Preisgelder und verloren alle die letzte Runde. Dieses Mal hatte nur noch Moritz Chancen, und durfte exakt wie letztes Jahr in der Abschlussrunde Schwarz gegen den Passauer Jura-Studenten David Melhorn (2079 DWZ) spielen, auch in genau derselben Eröffnung (1.e4 c5, 2.Be2), welche sich weiterhin großer Beliebtheit erfreut. Letztes Jahr verlor Moritz eine überwältigende Gewinnposition, dieses Jahr konnte er Revanche nehmen und eine souveräne und stark gespielte Partie gewinnen.

Am Brett daneben kam es zu der witzigen Situation, dass die beiden Großmeister Korneev und Milov gegeneinander spielen mussten. Bei so kleineren Turnieren ist es absolut üblich, dass man da schnell gegeneinander Remis macht, um die Chancen auf die Preisgelder zu wahren. Allerdings waren beide einen halben Punkt hinter dem Führungsduo, sodass ein Remis niemandem nutzen würde. Daher wurde es zur Freude der Zuschauer mal ausgekämpft, wobei GM Korneev eine erstaunlich einseitige Angriffspartie gegen die wacklige Taimanov Eröffnung seines Gegners gewinnen konnte, und dadurch an die Spitze aufschloss.

Dadurch ergab sich dann ein interessanter Endstand: Es gab keinen Spieler mit 3,5/5 Punkten, aber vier Spieler mit 4/5 Punkten, nämlich GM Korneev, die deutschen FMs Lentrodt und Hirneise, sowie Moritz! Daher kam es auf die Buchholz-Wertung an, sodass sich ein Endstand von GM Korneev auf Platz 1 und Moritz auf Platz 3 ergab.

Ein klasse Ergebnis für Moritz, aber an dieser Stelle ist es mal an der Zeit, die Feinwertung Buchholz etwas zu kritisieren. Diese ist bei vielen Schachturnieren üblich und berechnet sich einfach formuliert aus der Summe der Punkte der Gegner im Turnier. Dadurch kann es zum Beispiel zu der Situation kommen, dass eine irrelevante Partie in der letzten Runde am letzten Brett den Turniersieg entscheidet, da es die Buchholz Wertung der Führenden beeinflusst. Ein anderes Beispiel wäre, dass man in der ersten Runde einen starken Spieler schlägt, welcher dann aus dem Turnier aussteigt, was einem für die Buchholz-Zahl einen krassen Nachteil verschaffen würde.

Beim Ortenburg Open 2024 kam es daher zu der absurden Situation, dass GM Korneev auf Platz 1 (vier Punkte, 15,5 Buchholz) ein Preisgeld von 1.000€ gewann, während FM Lentrodt auf Platz 4 (vier Punkte, 14 Buchholz) ein Preisgeld von 0€ gewann, bei buchstäblich identischer Turnierleistung. Dies ist offensichtlich total arbiträr und nicht sonderlich gerecht; eigentlich könnte man gleich eine Münze werfen. Bei Schach-Turnieren, in denen es um viel Geld geht, erscheint dies auch den Spielern gegenüber etwas unfair. Beispielsweise die bayerische Meisterschaft letzte Woche wurde auch durch einen halben Buchholz-Punkt entschieden.

Es gäbe natürlich verschiedene Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen: Man könnte einen Stichkampf in Schnell- oder Blitzschach machen (wie bei Super-Großmeister Turnieren üblich), man könnte ein anderes Feinwertungssystem verwenden (wie es zum Beispiel Aschach macht), oder man könnte bei Gleichstand das Preisgeld einfach aufteilen (vielleicht die fairste Lösung bei kurzen Turnieren). Es bleibt zu hoffen, dass dies in Zukunft anders gemacht wird. Ortenburg 2024 hat als wirklich krasses Beispiel gezeigt, dass das Buchholz System zu absurden Ergebnissen führen kann - warum sollte ein Preis nach einem starken Turnier davon abhängen, ob beispielsweise der Erstrunden Gegner nicht zur letzten Runde erscheint?

Fazit:

Unsere Leistungen waren im Endeffekt ziemlich unterschiedlich: im C-Turnier holte Theo zwei Siege und insgesamt (wie Annika auch) 2/5 Punkten, wird mit zwei Caro-Kann Niederlagen mit Schwarz allerdings wahrscheinlich nicht ganz zufrieden sein. Definitiv aber eine gute Lernerfahrung. 

Im A-Turnier war Richard trotz 1,5/5 Punkten und dem drittletzten Platz eigentlich einigermaßen zufrieden, das Turnier war einfach stark besetzt. Bemerkenswert war im A-Turnier natürlich die starke Leistung von Moritz Stöttner mit 4/5 Punkten und dem dritten Platz.

Im B-Turnier holten Jonas und Martin beide 3/5, allerdings mit krass unterschiedlichen Turnierverläufen. Martin besiegte 3x Gegner mit über 1900 FIDE und hatte bis zum Ende Chancen auf die vorderen Plätze, während Jonas direkt mit einer Niederlage startete und im ganzen Turnier keinen Gegner über 1800 Elo mehr bekam.

Insgesamt wieder ein tolles Turnier, von der traditionellen Erstrunden-Verspätung und dem absurden Endergebnis einmal abgesehen, vom Ortenburger Organisationsteam um Schiedsrichter Manuel Schneider sehr souverän organisiert. Besonders schön war, mit einer so großen Gruppe ein Wochenende mit Schach und Freunden zu verbringen - hoffentlich können wir das nächstes Jahr wiederholen.