Nach einem Remis - für Sergej Karjakin mit Weiß ok, für Magnus Carlsen "gerade noch gerettet" - in Runde 9 am Mittwoch, 23. November 2016 folgte am Donnerstag, 24. November 2016 die 10. Partie: Der regierende Weltmeister mit Weiß schon arg unter Druck, wenn er das Ruder noch herumreißen will...
Die Partie war hochdramatisch: aus einem eher ruhig angelegten "Spanier", in dem der Herausforderer Sergej Karjakin möglicherweise nicht allzu umsichtiges Zeitmanagement zeigte (laut Analyse von GM Markus Ragger sollte man etwa für 15. ...c6 nicht 20 (?) Minuten reinschauen...) spielte Magnus Carlsen 19. Lx(L)e6?! und provozierte einen zentralen Doppelbauern als längerfristige Schwäche im schwarzen Lager (19. ...fxe6!). Dann muss er aber nach seinem notwendigen 20. Sf3-d2 wohl grandios seinen inneren Angstschweiß (Melanie Lubbe: "Sauna für die Seele") überspielt haben, denn ihm wurde klar, dass er Sergej Karjakin nun mit 20. ... Sxf2+ eine zwingende Remis-Möglichkeit zugespielt hatte - und das in einer Wettkampfsituation, da der Weltmeister beim Stand von 4 : 5 dringendst "alles" daransetzen sollte, irgendwie "auf Sieg" zu spielen. Also was war das?
Und dann, die Live-Kommentatoren begannen die Partie bereits abzuhaken, spielte der Herausforderer zur größten Überraschung vieler Schachfans NICHT ...Sxf2+ sondern 20. ... d5 - laut Computer an sich "nur" der zweitbeste, immerhin, aber... - hatte er Sxf2+ zu rasch verworfen? Hatte Sxf2+ seiner Ansicht nach doch einen tiefliegenden Haken? Oder war er sich in der Situation zu sicher, dass er Remis "immer" haben würde? Na, ja... es soll ja Spieler geben, die grundsätzlich kein Remis wollen, aber die meisten von uns würden in so einer Situation vielleicht einmal eine Ausnahme machen. Erhoffte sich Karjakin in dieser Spielphase noch, dass Carlsen später vielleicht doch noch "überziehen" könnte - jedenfalls wollte er ihm vielleicht dazu eine Chance geben. In der Tat ergab sich in der zäh weitergeführten Partie längerfristig immer wieder eine auf "Ausgleich" bis "für Weiß etwas besser" stehende Konstellation. So zeigte nach der überstandenen Zeitnot nach dem 40. Zug der Live-Computer plus 0,59 für Weiß, der Doppelbauer in der e-Linie war im 35. Zug aufgelöst worden... Wie sollte diese Partie denn gewonnen werden können? Die Experten kritisierten das Spiel beider Seiten als ziemlich fehlerhaft - ob die wohl so tief in die Stellung hineingesehen hatten, wie die beiden "Giganten"? Jedenfalls, handle es sich keineswegs um einen glanzvollen Tag in Carlsens Karriere...
ABER: Der Weltmeister Magnus Carlsen ist eben berühmt-berüchtigt für seine ungeheuren Fähigkeiten, genau solche kleinen Vorteile stundenlang zu verwalten, zu kneten, oft und oft war es ihm in der Vergangenheit gelungen, Stellungen, die andere Meister längst REMIS gegeben hätten weiterzuspielen und immer wieder hatte er dann in scheinbar hoffnungslosen Fällen doch noch Erfolg mit seinem energiegeladenen Stil. Aber bei diesem Wettkampfstand? Ich hatte leider einige Züge später beschlossen, das Resultat nicht mehr in der Nacht live abzuwarten, immerhin hatte sich die Partie bereits über vier bis fünf Stunden dahingezogen (Übertragungsbeginn in MEZ: 20:00 Uhr). Alles Gute Magnus und gute Nacht...
Nach 50 Zügen +0,68 für Weiß, nach 56 Zügen +0,66... Aber die Situation wurde für Karjakin immer unangenehmer - Carlsen sprach in der "Post-morten-Analyse" sogar von einer gewissermaßen "Zugzwangsituation". Und dann passierte es tatsächlich:56. ... Thh7? Und endlich: 57(!). b5! mit +1,70 für Carlsen... geht es also doch? Die Endspielsituation blieb hochkomplex, und die Kontrahenten haben ja keinen Zugriff auf den Computer, sie müssen auch nach 5 1/2 bis 6 Stunden möglichst präzise weiter und weiter rechnen, Computervorteile verziehen sich oftmals rascher als der Herbsthochnebel. Nach diesem ersten deutlichen Fortschritt kostete es dann also noch etwa 50 Minuten harter Schacharbeit, ehe nach 75. Kf6 die AUFGABE von Sergej Karjakin erfolgte: Phhuuu! AUSGLEICH zum 5 zu 5...
Noch vor einer Woche hätte Carlsen wohl gestaunt, wenn man ihm vorausgesagt hätte, dass er nach der 10. Partie hochzufrieden feststellen werde: Immerhin happy, denn es gibt zwei weitere Partien. Dieser WM-Kampf geht also vorerst einmal jedenfalls über die volle Distanz der 12 "Langzeit-Turnierpartien, denn vorher kann keiner der beiden Helden 6 1/2 Punkte und damit den Gesamtsieg erreichen.
Wie wird es weitergehen? Ruhetag und 11. Partie am Samstag, 26. November und dann noch ein Ruhetag (glaube ich), 12. Runde: 28. November und am 30. bin ich mit euch neugierig, wie Magnus Carlsen seinen 26. Geburtstag feiern wird können... LG Benedikt PS: ich hoffe, ich habe niemanden gelangweilt :)